Kolonisation und Entkolonisation Marokkos

- von René Frank -

 

 

Inhaltsverzeichnis

 

I. Politische Situation Marokkos vor dem Einfluss Europas

1. Die Dynastie der Alouiten

2. Spanisches und Portugiesisches Interesse aufgrund der geographischen Nähe

 

II. Die Zeit der Handelsverträge mit Europa

1. England und Frankreich bekunden Interesse an Marokko

2. Eroberung Algeriens durch Frankreich

3. Verträge und Rückverträge

 

III. Innenpolitisches System Marokkos

 

IV. Das Ende der Marokkanischen Selbständigkeit

1. Afrika wird mehr und mehr Kolonialreich von Europa

2. Fatale Schwächen des jungen Sultans Abd el Aziz

3. Konferenz von Algeciras

4. Einigung der europäischen Mächte bezüglich der Gebietsaufteilungen in Afrika / „Panthersprung"

5. Besetzung Marokkos durch Frankreich

 

V. Der Vertrag von Fes

 

VI. Situation Marokkos nach der französischen Okkupation

1. Dreiteilung Marokkos

2. Die Rolle des „Marionetten-Sultans"

3. Berberaufstände

4. Unterwerfung aller Landesteile bis 1934

 

VII. Die Aufstände mehren sich

1. Nationalistische Bewegungen

2. Der Sultan wird abgesetzt

3. Freiheitskrieg der Bevölkerung

 

VIII. Ist Freiheit Freiheit ?

 

 

I. Politische Situation Marokkos vor dem Einfluss Europas

 

1. Die Dynastie der Alouiten

 

Die politischen Verhältnisse Marokkos während des 15. - 17. Jahrhunderts waren geprägt von Dynastie und Sultanat. Schon frühzeitig hatte sich in Marokko eine eigene, strukturierte Kultur entwickelt, die für afrikanische Verhältnisse herausragend war. Zwar war das Land untergliedert in viele (Berber-)Stämme, die ihre eigenen Fürsten hatten, doch stand allen Stämmen der Sultan des Landes vor, der als Nachfahre des Propheten Mohammed die politische und religiöse Führungsrolle vereinte.

Nach der Dynastie der Saadiens (1554 – 1659), die schon in erste Konfrontationen mit Spaniern und Portugiesen gerieten, welche sich an der Küste Stützpunkte sicherten, folgte die Dynastie der Alouiten, die ab 1667 die Sultane stellte und bis heute an der Macht ist. In die Zeit dieser Dynastie fallen praktisch alle kolonialpolitischen Ereignisse des Landes – einschließlich der Entkolonisation.

Der Sultan Moulay Ismail, ein Alouit, festigte erstmals das Reich Marokkos durch Strenge und auch Grausamkeit. Gegen widerspenstige Stämme wurde Krieg geführt und in den Gebirgen wurden Militärforts errichtet mit denen sein straffes Regime gestützt werden sollte. Als großem Verdienst ist ihm die Befreiung von Tanger (1684) und Arzila (1691) anzurechnen. (Portugiesisch besetzt)

Seine Hauptstadt war Meknes.

 

 

 

 

2. Spanisches und Portugiesisches Interesse aufgrund der geographischen Nähe

 

 

Portugal und Spanien sind nur durch ein schmales Gewässer – der Straße von Gibraltar – von dem afrikanischen Festland getrennt, und damit von Marokko, das die nordwestliche Ecke des afrikanischen Kontinents einnimmt.

Verständlich ist es deshalb, dass diese beiden europäischen Länder als erstes Interesse an dem afrikanischen Land zeigten. Als erste Stadt in Marokko wurde bereits 1415 Ceuta von den Portugiesen besetzt. 1471 folgten Arzila und Tanger, was nicht sonderlich schwer war, da der marokkanische Sultan zu jener Zeit sehr geschwächt war, aufgrund landesinterner Konflikte.

Ebenfalls auf das Konto der Portugiesen geht die Gründung der Stadt Agadir als Festung Santa Cruz de Aguer.

Wie bereits oben erwähnt, werden die Europäer mit wachsender Macht des Sultans Moulay Ismail aus dem Land vertrieben, doch an die Stelle der Portugiesen treten nun die Spanier, die schon 1494 Melilla in ihre Hände bekamen. 1580 folgte nun Ceuta. Diese beiden Städte konnten auch von Moulay Ismail nicht zurückerobert werden und so setzten sich die Spanier dort fest. Selbst bis zum heutigen Tag konnten die Spanier nicht ganz aus Afrika vertrieben werden, denn Spanien unterhält diese beiden Stützpunkte nach wie vor in Marokko.

 

 

 

 

II. Die Zeit der Handelsverträge mit Europa

 

1. England und Frankreich bekunden Interesse an Marokko

 

 

 

England, im 17. Jahrhundert eine bedeutende Seemacht, wollte sich auch die Kontrolle über den Zugang zum Mittelmeer sichern, da Gibraltar noch nicht zu England gehörte. So blieb also nur die Möglichkeit, auf der anderen Seite der Meerenge Fuß zu fassen, in Marokko.

Da Marokko mit Spanien, aufgrund verschiedener Gebietskämpfe verfeindet war, war England ein willkommener Partner für die Afrikaner, da das Königreich ebenfalls Spanien zum Gegner hatte. Die Hafenstadt Tanger, an der Meerenge Gibraltars wurde 1662 von Engländern besetzt, um die Handelswege ins Mittelmeer zu kontrollieren. Allerdings wurden die Engländer bereits 22 Jahre später wieder aus Tanger vertrieben, da sich die Politik unter dem Sultan Moulay Ismail, wie bereits erwähnt, gewandelt hatte und er auf ein einheitliches Marokko hinarbeitete.

Frankreich sandte 1767 erstmals eine große Delegation nach Marokko, um einen Handelsvertrag abzuschließen, erreichte jedoch keine großen Handelsvorteile, da es aufgrund des nordamerikanischen Krieges sehr geschwächt war.

Trotzdem wuchs ein Interesse für Marokko bei den Franzosen, das nicht mehr zu stoppen war.

 

 

2. Eroberung Algeriens durch Frankreich

 

Als 1830 Frankreich das benachbarte Algerien besetzte, verhielt sich der amtierende marokkanische Sultan Abd er Rahman (1822 – 1859) unbeteiligt und unternahm nichts außer dem Versuch die Stadt Tlemcen für Marokko zu erobern und somit ein kleines Stück vom Kuchen abzubekommen. Dies schlug jedoch gründlich fehl und auf Bitten des algerischen Revolutionärs Abdel Kader verbündete sich Marokko, wegen ihren brüderlichen Verpflichtungen gegenüber dem islamischen Volk, mit Algerien gegen Frankreich.

Als Marokko Abdel Kader Unterschlupf bot, rückten im Mai 1844 französische Truppen in Marokko ein, bombardierten Tanger und Mogador und fielen zu Lande mit einem 8000-Mann starkem Heer ein. Obwohl die Marokkaner ein viel größeres Heer entgegensetzten, mussten sie doch starke Verluste hinnehmen, da die Franzosen mit modernen, neuartigen Waffen kämpften und kapitulierten am Fluss Isly in der Nähe von Oujda. Auf marokkanischer Seite starben ca. 12000 Mann, auf französischer gerade einmal 250 Mann.

Im Friedensvertrag von Tanger wurden am 10.09.1844 die alten Grenzen zwischen Marokko und Algerien wieder anerkannt und die Franzosen ließen Marokko unberührt.

 

 

 

3. Verträge und Rückverträge

 

Nach dem Abschluss des ersten Handelsvertrags mit Frankreich 1767, der jedoch nicht sehr nützlich war, wurde 1791 ein Handelsabkommen mit England, dem Gegner Spaniens, unterzeichnet und 1799 aus taktischen Gründen ein Vertrag mit Spanien.

Ein wichtiger Vertrag wurde 1856 von Sultan Abder Rahman mit England geschlossen, der den freien Güteraustausch zwischen beiden Ländern und einen festen Zoll von 10 % festlegte. Ferner konnten sich nun Engländer in Marokko niederlassen, ohne der marokkanischen Rechtssprechung zu unterliegen.

Da Spanien immer noch Stützpunkte in Nordwestafrika unterhielt, erklärte Marokko 1860 Spanien den Krieg, unterlag aber sehr schnell und schloss daraufhin auch einen Friedensvertrag mit Spanien (26.04.1860).

Mit Belgien wurde 1862 ein Handelsvertrag abgeschlossen und Frankreich bekam 1863 einen noch günstigeren Vertrag als die restlichen europäischen Länder, der gleichzeitig ein Schutzvertrag war, da Marokko sich zwischen den verschiedenen Interessen der Europäer hin- und hergerissen sah.

Zwar versuchten die Sultane die ausländischen Einflüsse möglichst gering zu halten, aber es lies sich nicht vermeiden, dass immer mehr Europäer in das Land eindrangen, die praktisch der Gewalt der marokkanischen Regierung entzogen waren. Marokko wurde immer stärker in den internationalen Handel einbezogen, obwohl der Güteraustausch i.d.R. über Landwege geschah, da die Häfen schlecht für große Schiffe ausgebaut waren.

Marokko hatte im Lauf der Zeit viele Verträge mit verschiedenen europäischen Mächten abgeschlossen, allen voran den Spaniern, Engländern und Franzosen. Doch aufgrund dieser Verträge entwickelten sich Meinungsverschiedenheiten bei den europäischen Regierungen, die alle getrennte Ziele verfolgten.

Aus diesem Grund wurde 1879 in Tanger eine internationale Konferenz einberufen, die Marokko zum Gegenstand hatte. Da man auf der Konferenz jedoch zu keinem zufriedenstellenden Ergebnis kam, lud die spanische Regierung alle Parteien im darauffolgenden Jahr nach Madrid ein.

Man einigte sich auf ein „gleiches Recht für alle", was Frankreich sehr unrecht war, da es im Vorfeld im Vergleich zu anderen Mächten mehr Vorteile im Land besaß.

Nach dem Ausscheiden Otto von Bismarcks aus der deutschen Regierung, versuchte sein Nachfolger da Caprivi das deutsche Kolonialreich zu erweitern und begann sich auch für das „freie Marokko" zu interessieren. Er schloss deshalb am 01.06.1890 mit Marokko einen Vertrag ab. Damit stieg die Zahl der potentiellen Kolonialherren auf vier an.

 

 

 

III. Innenpolitisches System Marokkos

 

 

Die innenpolitischen Verhältnisse Marokkos im 19. Jahrhundert beruhten auf einem alten, traditionellen Staatssystem, dem der Sultan als Monarch vorstand.

Er besaß absolute Autorität, die er als Nachfahre des Propheten Mohammed genoss und war nicht nur weltlicher Regent, sondern auch religiöses Oberhaupt.

Als Khalif verfügt er über die exekutive und legislative Gewalt in seinem Reich und als Imam war er der oberste Führer der Gläubigen. Durch diese Sonderstellung stand er über allen anderen Menschen.

In seinem Namen wurden Gebete gesprochen, aber auf der anderen Seite musste er auch über die öffentliche Ordnung wachen.

Seine Aufgabe war es ferner Kadis (Richter) und Kaids zu ernennen.

Kaids waren die Vorsteher von verschiedenen Stämmen im Land oder Vorsteher kleinerer Städte, vergleichbar unserem Bürgermeister. Aber sie besaßen weit mehr Macht, als man vermutet. Jeder Kaid konnte sich Kalifen als Vertreter wählen, wenn er Kaid über mehrere Städte oder Stämme war und nicht überall präsent sein konnte. Den Kaids unterstanden die Scheiche, die verschiedene Gruppen innerhalb eines Stammes leiteten.

Dem Sultan zur Hand ging der Großwesir, der die Funktion des Ministerpräsidenten oder Kanzlers innehatte. Die Wesire waren die Minister des Sultans.

Und an der Spitze von großen Städten wie etwa Marrakesch, Fes oder Rabat standen die Paschas, die durch einen „dahir", einen Erlass des Sultans, dieses Amt erhielten. Sie unterstanden direkt dem Großwesir und in ihrer Hand lag viel politische Macht.

Somit waren die Machtverhältnisse hierarchisch gegliedert und straff organisiert.

Die gesamte Arbeit der Wesire vollzog sich übrigens nicht, wie wir Europäer gewohnt sind, in einem Büro, sondern in Räumen des Palastes, die mit Diwanen und Sitzkissen ausgestattet waren.

 

Skizze zum hierarchischen Aufbau in Marokko :

 

SULTAN

                                                                           

                                                                    Großwesir

 

                                                Wesire      Paschas        Kalifen

 

                                                                   Kaids          Kalifen

 

                                        Scheiche

 

Dieser traditionelle Systembau und das daraus resultierende Stammesbewusstsein hat sich auch während dem Einfall der Europäer gehalten und war nicht zu zerstören. Nur konnten jetzt nicht mehr die „besten" oder erfahrensten einer Gemeinschaft in der Hierarchie aufsteigen, denn unter dem französischen Protektorat war das unterbunden worden und deshalb war das Anlass zu Neid, Hass und Feindseligkeit gegenüber der Besatzungsmacht. Vielleicht einer der Gründe, warum das französische Protektorat von Anfang an zum Scheitern verurteilt war.

 

 

IV. Das Ende der Marokkanischen Selbständigkeit

 

1. Afrika wird mehr und mehr Kolonialreich von Europa

 

Beim Vergleich zweier Landkarte von Afrika aus den Jahren 1874 und 1904 wird man gravierende Unterschiede im Bezug auf die politische Ordnung des Kontinents feststellen. Denn jene dreißig Jahre waren die Blütezeit des europäischen Imperialismus.

Waren um 1874 nur einige Küstengebiete Afrikas, wie etwa Senegal, Gambia, Sierra Leone, die Goldküste, Mocambique oder Algerien von europäischen Mächten besetzt, so war bis zum Ende des Jahres 1904 fast ganz Afrika in den Händen der Franzosen, Engländer, Italiener, Deutschen, Belgier, Spanier und Portugiesen – bis auf Libyen und Marokko. (Wenn man von den beiden traditionell unabhängigen Ländern Liberia und Abessinien absieht).

Da war es logischerweise nur noch eine Frage der Zeit, bis auch diese zwei Landesteile Afrikas unter europäisches Kommando fielen. Bewerber gab es nun auch schon genug:

Großbritannien hatte ein Interesse an Marokko zur Sicherung seiner Handelsdominanz sowie zur Kontrolle des Schifffahrtsweges durch die Straße von Gibraltar, nicht nur vom europäischen Festland aus, sondern auch von der gegenüberliegenden Seite. Frankreich, das seit 1830 im Besitz des Nachbarlandes Algerien war und mittlerweile seine Einflußphäre über ganz Mittel- und Nordwestafrika ausgebaut hatte, wollte die letzte „Lücke" in seinen Kolonialgebieten schließen. Spanien war wegen seiner beiden Festungen Ceuta und Melilla auf afrikanischem Gebiet, und seiner unmittelbaren Nachbarschaft nach wie vor sehr interessiert an Marokko und beanspruchte Sonderrechte gegenüber den anderen europäischen Staaten, nicht zuletzt wegen der gemeinsamen Geschichte (Mauren) beider Länder. Und schließlich gab es noch das Deutsche Reich, arm an Kolonien, sah eine seiner letzten Chancen noch ein Land den deutschen Kolonialbesitzen hinzuzufügen.

Marokko sollte ein Spielball europäischer Intriganten werden.

 

 

2. Fatale Schwächen des jungen Sultans Abd el Aziz

 

Der relativ starke Sultan Moulay Hassan (1873 – 1894) schaffte es immer wieder, - wenn auch unter großen Mühen – eine wirtschaftliche Vormachtstellung der Europäer zu verhindern und sicherte sich seine Unabhängigkeit durch diplomatische Verhandlungen und Verträge mit Deutschland (1890) und England (1892). Auch sah er das Land durch veraltete Wirtschafts- und Verwaltungssysteme geschwächt, so dass er sich aus Deutschland, Frankreich, Spanien und England Lehrer und technische Experten in sein Land holte, die die Wirtschaft ankurbelten. Im Gegenzug schickte er Marokkaner nach Europa, um dort Ingenieurwesen zu studieren. Seine Armee wurde modernisiert.

Durch diese wirtschaftliche Stärkung, war ihm und dem Land noch die Freiheit geblieben.

Nach seinem Tod 1894 ließ der Großwesir Ba Ahmed den erst vierzehnjährigen Abd el Aziz zum Sultan ausrufen, übernahm aber kommissarisch die Regierungsgeschäfte, bis der junge Sultan reif dafür war.

 

Abd el Aziz war ein verwöhnter Junge, der mit europäischem Spielzeug aufwuchs und Naivität zeigte.

Als der Großwesir 1900 starb, übernahm Abd el Aziz die Regierungsgeschäfte.

Er ernannte Europäer zu seinen Beratern und versuchte das Steuersystem des Landes zu reformieren, da er gerne auch von den ausländischen Bewohnern und Geschäftsleuten seines Landes Steuern eintreiben wollte. Bei dem Reform-Versuch gingen ihm aber die traditionellen Abgaben der einheimischen Bevölkerung verloren, ohne die europäischen Kaufleute zu wesentlichen Zahlungen zwingen zu können. Durch weitere unüberlegte Modernisierungen – die ihm auch den Zorn seiner Landsleute einbrachten – war die Staatskasse leer geplündert. Um zu Geld zu gelangen nahm Sultan Abd el Aziz Geld bei französischen Banken auf, gegen Verpfändung eines Teils der Staatseinnahmen und der Zölle.

Die marokkanischen Häfen gerieten dadurch praktisch unter französische Kontrolle und der Sultan war abhängig von den Franzosen.

 

 

3. Konferenz von Algeciras

 

Diese oben erwähnte Abhängigkeit wollten die restlichen europäischen Mächte nicht hinnehmen und beriefen auf Wunsch Wilhelms II. am 15.01.1906 eine Konferenz in Algeciras ein, zu der Vertreter der Länder Frankreich, Spanien, Deutschland, Österreich-Ungarn, Belgien, England, Italien, Niederlande, Portugal, Russland und USA kamen. Auf dieser Konferenz sicherten sie sich gegenseitig gleiche Handelsrechte, garantierten die Souveränität des Sultans und einigten sich über die Unantastbarkeit des Reiches Marokko.

Allerdings wurden extern heimliche Abmachungen und Versprechen getroffen, die die Ergebnisse der Konferenz unterliefen.

So konnten Spanien und Frankreich durch die Aufsicht über die Polizei in Marokko Fuß fassen, und England hatte Frankreich freie Hand für Marokko garantiert, wenn Frankreich wiederum die Finger von Ägypten – Protektorat von England – lies. Mit anderen Ländern wurden ebenfalls geheime Abmachungen getroffen und Frankreich und Spanien überlegten sich eine künftige Teilung Marokkos.

Im Land selbst wuchs der Unmut über den schwachen Sultan, der sein Reich stückweise an die Europäer verkaufte und deren Einfluss spürbar größer wurde.

1907 wurde in Marrakesch ein Franzose und in Casablanca neu europäische Arbeiter umgebracht. Es folgten weitere Demonstrationen gegen die Europäer und den Sultan und bald war das ganze Land davon erfasst.

In Marrakesch wurde im selben Jahr mit Unterstützung des Berberfürsten El Glaoui der ältere Bruder von Abdel Aziz, nämlich Abd el Hafiz zum Sultan ausgerufen. Dieser, 1908 in seinem Amt bestätigte, konservativere Sultan, sollte Marokko von den fremden Mächten befreien. Er konnte sich allerdings keinen bewaffneten Widerstand leisten, da kein Geld vorhanden war.

Einige Wesire und Paschas begannen eigenständig Politik zu betreiben.

 

 

 

4. Einigung der europäischen Mächte bezüglich der Gebietsaufteilungen in Afrika / „Panthersprung"

 

Nachdem sich „hinter den Kulissen" die europäischen Mächte in verschiedenen Geheimabkommen ihre zukünftigen Ansprüche in Marokko gesichert hatten, England aus dem Wettbewerb ausgeschieden war (s.o.) blieben als Interessenten nur noch Frankreich, Spanien und Deutschland.

Im Frühjahr 1911 drangen französische Truppen in Marokko ein, um den, von Berberstämmen in Fes eingeschlossenen Sultan zu befreien, während im Norden des Landes die Spanier angriffen. Deutschland fühlte sich hintergangen und schickte am 01.07.1911 den Militärkreuzer „Panther" vor die Küste Agadirs, um Frankreichs Expansionspolitik einzudämmen. Beinahe hätte diese Krise den Ersten Weltkrieg ausgelöst.

Aber Frankreich lenkte ein und einigte sich mit Deutschland, indem es ein kleines Gebiet in Äquatorialafrika (Teil von Französisch-Kongo) an Deutschland abtrat und Frankreich und Deutschland sich gegenseitig Handelsfreiheiten in Togo (Deutsche Kolonie seit 1884) und Marokko zusicherten.

Damit war Deutschland im Poker um Marokko ebenfalls ausgeschieden und es gab nur noch Frankreich und Spanien, die sich ohnehin schon auf eine Aufteilung des Landes geeinigt hatten. (s.o.)

 

 

5. Besetzung Marokkos durch Frankreich

 

Die marokkanische Bevölkerung erhob sich nun auch gegen den Sultan Abd el Hafiz, da er bezüglich der Ausländerproblematik auch keine nennenswerten Erfolgte erzielte. Aufgebrachte Berberstämme schlossen ihn in Fes ein. Nach seiner Befreiung durch die Franzosen aus Fes, blieb das französische Militär im Land und sicherte den Sultan, der damit vollends zum „Sklaven" Frankreichs wurde. Das westliche Land wurde komplett besetzt und von Osten, aus Algerien fielen auch französische Truppen ein. Allerdings war noch lange nicht ganz Marokko unter französischer Herrschaft. Das sollte noch 22 Jahre dauern. Aber der Sultan war politisch, wie auch militärisch in die Enge getrieben und wurde am 30. März 1912 genötigt im Vertrag von Fes die Schutzherrschaft Frankreichs über Marokko anzuerkennen. Damit hatte Frankreich in Nordafrika seine „koloniale Lücke" geschlossen und Marokko war kein freies Land mehr.

 

 

 

V. Der Vertrag von Fes

 

Der, 1912 von Frankreich erzwungene Vertrag, hat einen Inhalt, der den früheren Versicherungen in Algeciras vollkommen entgegen steht.

Das aus 9 Artikeln bestehende Vertragswerk ist sehr kurz und hat folgenden Inhalt :

Artikel I:

Die Regierung der Französischen Republik und Seine Majestät der Sultan sind übereingekommen, in Marokko neue Verhältnisse zu schaffen, die in Verwaltung, Justiz, Schulwesen, Wirtschaft, Finanz und den militärischen Angelegenheiten Reformen mit sich bringen, welche die französische Regierung auf marokkanischem Gebiet einzuführen für nützlich erachtet.

Die französische Regierung wird sich mit der spanischen Regierung in Verbindung setzen in Anbetracht des Interesses, das diese Regierung auf Grund ihrer geographischen Lage und ihrer territorialen Besitzungen an der marokkanischen Küste besitzt. Gleichzeitig wird die Stadt Tanger den besonderen Charakter behalten, der ihr zuerkannt worden ist und der ihre Verwaltung bestimmen wird.

 

Artikel II:

Seine Majestät der Sultan läßt von jetzt ab zu, daß die französische Regierung, nachdem sie die marokkanische Regierung in Kenntnis gesetzt hat, fortfährt in der militärischen Besetzung Marokkos, wenn sie dies für notwendig erachtet, um die Ordnung und Sicherheit des Handels aufrechtzuerhalten, und daß sie alle polizeilichen Maßnahmen zu Lande und in den marokkanischen Gewässern durchführt.

 

Artikel III:

Die französische Regierung sichert Seiner Scherifischen Majestät jeglichen Schutz zu gegen Gefahren, die seiner Person oder seinem Thron drohen oder die den Frieden seines Staates beeinträchtigen könnten: Der gleiche Schutz wird seinen Thronerben und deren Nachfolgern zugesichert.

 

Artikel IV:

Die Maßnahmen, die sich aus der Bildung der neuen Protektoratsmacht notwendigerweise ergeben können, werden von der französischen Regierung vorgeschlagen und von Seiner Scherifischen Majestät oder den Stellen, die dazu autorisiert sind, erlassen.

 

Artikel V:

Die französische Regierung wird bei Seiner Scherifischen Majestät durch einen Generalresidenten vertreten sein, der die Ausführung dieses Abkommens überwacht. Der Generalresident wird sowohl der einzige Vermittler des Sultans gegenüber den Repräsentanten anderer Länder sein als auch die Beziehungen regeln, die diese Repräsentanten mit der marokkanischen Regierung unterhalten. Er wird besonders die Angelegenheiten der im Scherifischen Reich lebenden Ausländer regeln. Er wird ebenso das Recht besitzen, alle Erlasse Seiner Scherifischen Majestät im Namen der französischen Regierung zu billigen und zu verkünden.

 

Artikel VI:

Die Diplomaten Frankreichs werden mit der Wahrung der Interessen Marokkos im Ausland beauftragt. Seine Majestät der Sultan verpflichtet sich keinerlei Handlungen internationaler Reichweite ohne vorherige Zustimmung der französischen Regierung zu unternehmen.

 

 

Artikel VII:

Die Regierung der Französischen Republik und die Regierung Seiner Scherifischen Majestät behalten sich vor, in einem gemeinschaftlichen Abkommen die Grundlagen zu einer Finanzreform festzulegen, die die Wirksamkeit des marokkanischen Finanzwesens und die regelmäßigen Steueraufkommen garantieren unter Wahrung der

Artikel VII:

Die Regierung der Französischen Republik und die Regierung Seiner Scherifischen Majestät behalten sich vor, in einem gemeinschaftlichen Abkommen die Grundlagen zu einer Finanzreform festzulegen, die die Wirksamkeit des marokkanischen Finanzwesens und die regelmäßigen Steueraufkommen garantieren unter Wahrung der Rechte des marokkanischen Steuerzahlers.

 

Artikel VIII:

Seine Scherifische Majestät verpflichtet sich, ohne die Genehmigung der französischen Regierung künftig keinerlei öffentliche oder private Anleihen in direkter oder indirekter Weise aufzunehmen oder irgendwelche Konzessionen zu erteilen.

 

Artikel IX:

Das vorliegende, Übereinkommen wird der französischen Regierung zur Ratifizierung vorgelegt und Seiner Majestät dem Sultan auf dem kürzesten Weg wieder zugeleitet.

 

Im guten Glauben haben die Unterzeichneten diesen Pakt geschlossen und mit ihrem Siegel versehen.

 

Fez, den 30. März 1912

gez. Renault gez. Moulay Abd el-Hafid

 

 

(aus : M.u.E. Wohlfahrt: Nordafrika, Safari-Verlag, Berlin, 1955)

 

 

VI. Situation Marokkos nach der französischen Okkupation

 

1. Dreiteilung Marokkos

 

Nachdem nun Marokko offiziell per Vertrag von den Franzosen besetzt war, trat auch das geheime Abkommen mit Spanien in Kraft, das die Aufteilung des Landes zwischen Spanien und Frankreich regelte.

Der Norden des Landes (Küstengebiet am Mittelmeer, Rifgebirge), der südlichste Landesteil (Zone von Tekna) und die seit 1860 bestehende spanische Kolonie Ifni, die nun hinsichtlich ihrer genauen Ausdehnung fixiert wurde, werden unter spanische Verwaltung gestellt, das Landeszentrum mit den wirtschaftlichen Kernräumen Casablanca, Rabat, Marrakesch und Fes (Mittelmarokko) wird unter französische Verwaltung gestellt und die Stadt Tanger mit Umland wird als internationale, entmilitarisierte Zone deklariert.

Damit war der Beschluss auf der Konferenz von Algeciras, der die Einheit des Staates und die Souveränität des Sultans garantierten übergangen worden.

Hauptstadt des spanischen Protektorats wurde Tetouan und der Sultan durch den Kalifen von Tetouan vertreten, Hauptstadt von Französisch-Marokko wurde Rabat. Dorthin musste auch der Sultan, der in Marrakesch regierte, hinziehen.

Praktisch wurde der Sultan seiner Herrschaftsrechte in allen drei Zonen beraubt und fungierte nun mehr als „Marionetten-Sultan".

 

 

2. Die Rolle des „Marionetten-Sultans"

 

Kurz nach Unterzeichnung des Vertrages von Fes, dankte der Sultan Moulay Hafid zu Gunsten seines Halbbruders Moulay Yussef ab, der einen, für die Franzosen willfähigeren Sultan abgab als sein Vorgänger. Allerdings genoss dieser Sultan nun nicht mehr das Vertrauen der Bevölkerung.

Die ehemals große Macht des Sultans, sowohl in politischer, als auch religiöser Hinsicht, wurde von den Franzosen stark beschnitten. Sämtliche außenpolitischen Beziehungen wurden durch Frankreich geregelt. An die Seite des Sultans wurde ein Generalresident gestellt, der der unabhängige Außenminister des Landes war. Ebenso wurden alle militärischen Entscheidungen und die Kontrolle über die Streitkräfte in die Hände der Franzosen gelegt.

Nur die Innenpolitik oblag der Regierung des Sultans mit seinem Großwesir und Wesiren. Allerdings wurde den Marokkanern auch hier ein enger Rahmen in ihrer Handlungsfreiheit gesetzt und alle größeren Entscheidungen mussten dem Generalresidenten vorgelegt werden, der sie dann genehmigen konnte.

Alle legislativen Anordnungen des Sultans wurden in einem paritätisch besetzten Gremium aus den Spitzen der französischen und marokkanischen Regierungsstellen besprochen.

Damit kontrollierte die Exekutive die Legislative, ganz abgesehen von der darüber stehenden Kontrolle der Franzosen, die das letzte Wort hatten.

Auch bei der Wahl von hohen Würdenträgern wie etwa den Paschas, bedarf es einer vorherigen Genehmigung der Franzosen.

Äußerlich bewahrte der Sultan alle Formen seiner religiösen und politischen Souveränität. Er war Iman und Kalif (Kommandeur der Gläubigen). In seinem Namen wurden Gesetze und Verordnungen verfasst, Recht gesprochen und gebetet. Und ihm blieb noch die Möglichkeit über Pressemitteilungen und eine jährliche Thronrede seine Meinung kund zu tun.

Der Sultan war also zwar noch offiziell im Amt und durfte in einem Palast wohnen, wurde aber wie ein unmündiges Kind behandelt, das sich bei jedem Schritt und Wort vor der Protektoratsmacht verantworten oder rechtfertigen musste. Nur in religiösen Fragen war er unabhängiger.

Dieses Prinzip wurde sehr oft in der Weltgeschichte praktiziert. (Siehe z.B. „Pu Yi" als berühmte Spielfigur der Japaner). Man lässt einen Monarchen in seinem Amt, beschneidet ihn all seiner Handlungsfreiheiten und agiert als fremde Macht im Hintergrund durch den Monarchen. So scheint für das Volk alles in Ordnung zu sein, aber in Wirklichkeit ist ihr Herrscher nur eine Person, an der andere die Fäden ziehen – so wie eine Marionette.

 

 

3. Berberaufstände

Wenige Wochen nach der Okkupation Marokkos entstanden überall schwere Unruhen. Die Stadt Fes wurde von 20.000 Berbern belagert und die Stämme des Mittel-Atlas und die arabischen Stämme von Sais erhoben sich. Am 17.04.1912 kam es zum offenen Aufstand.

Die Truppen des Sultans schlossen sich den Aufständischen an und der Widerstand der Marokkaner gegen die Besatzungsmacht begann.

Im Süden des Landes rief Ahmed el Hiba, Sohn eines Heiligen, die Stämme zum Krieg gegen die „ungläubigen" Christen auf. Religiöse Motive waren bekanntlich immer ein wichtiger Grund, um Krieg zu führen, und so hatte el Hiba viele Gefolgsleute hinter sich. Er rückte vor bis nach Marrakesch und lies sich zum Sultan ausrufen, denn laut marokkanischer Verfassung ist derjenige Herrscher des Landes, der als erstes in einer der beiden Städte Marrakesch oder Fes das Sultanat erhielt. Somit besaß Ahmed el Hiba eine verbriefte Würde.

Als er jedoch die Berberstämme weiter nach Norden führte, stellte sich das französische Heer ihm entgegen.

Der französische General Hubert Lyautey wurde zum ersten Generalresidenten Marokkos ernannt und schlug alle Berberaufstände nieder. Ihm unterstanden die Verteidigung des Landes, dessen Vertretung dem Ausland gegenüber, die Aufrechterhaltung der Ordnung und das Finanzwesen.

Lyautey versuchte aber gleichfalls während seiner Regentschaft, Marokko davor zu bewahren, eine französische Kolonie zu werden. Er sah in dem Schutzvertrag lediglich die Aufgabe Frankreichs, die Regierung Marokkos zu erhalten und dafür zu sorgen, dass sich das Land unter seiner Kontrolle selbst verwaltete. Er besaß außerdem viel Erfahrung im Umgang mit den Einheimischen, da er vorher schon vielfältige Aufgaben im angrenzenden Algerien innehatte.

„Ich muß die Führung eines Schiffes übernehmen, das sich im Sinken befindet" waren seine Worte, und Frankreich hat diesem Mann viel zu verdanken.

Trotzdem ging er mit zielstrebiger Härte vor um das gesamte Land militärisch zu „befrieden".

 

 

4. Unterwerfung aller Landesteile bis 1934

Nachdem die anfänglichen Aufstände mit einem Heer von 70.000 Mann unter Führung Lyautey´s niedergeschlagen worden waren, erkannten auch Marrakesch und die Kaids des Atlas-Gebirges den neuen Sultan Moulay Yussef und die französische Protektoratsmacht im September 1912 an.

1913 wurde die Region von Meknes unterworfen und im Mai 1914 konnten französische Truppen den Verbindungsweg nach Algerien im Norden des Landes sichern. (Siehe Karte unten). Auch der Erste Weltkrieg konnte das Vordringen der Truppen nicht stoppen und 1917 eroberten die Franzosen den Sous und Tiznit, 1920 Quezzane und bis 1921 die meisten Gebiete des Mittleren und hohen Atlas.

Dann ging es doch entschieden langsamer voran, da es im Hohen Atlas und in den Gebieten dahinter nicht nur Widerstand von der Bevölkerung, sondern auch von der Natur gab.

Als Lyautey im Juli 1921 die Stämme des Rif-Gebirges angriff, kämpften der Führer Abd el Krim mit seinem Stamm der Beni Zaroual und angeschlossene Berberstämme des Gebirges einen blutigen Freiheitskrieg für eine Republik im Rif-Gebirge.

Krim belagerte 1925 die Stadt Fes und Frankreich holte daraufhin den General Lyautey aus Marokko zurück, da er, nach der Meinung der Regierung in Paris nicht mehr Herr der Lage war. Damit tat man einem klugen und erfahrenen Mann, der viel für Frankreich getan hat, bitteres Unrecht. Lyautey hatte seine Aufgabe bis dahin hervorragend gemeistert und Härten vermieden, wenn es ging. Sowohl seinen Soldaten als auch den Marokkanern war er ein gerechter Vorgesetzter.

An seine Stelle trat der radikale General Petain. Doch auch er brauchte noch gut ein Jahr, bis er am 27.05.1926 Abd el Krim unterwerfen konnte. Damit war auch das Gebiet südlich der Spanischen Zone von den Franzosen eingenommen. Nach diesem Wider stand konnten nun nacheinander die restlichen Gebiete Marokkos eingenommen werden : 1931 der Mittlere Atlas, 1932 Tafilalet und 1934 der Anti-Atlas und die südlichsten Gegenden des Landes, wo Ahmed el Hiba (s.o.) und seine Nachfolger sich immer noch den Franzosen widersetzt hatten.

Damit war im April 1934 – 22 Jahre ! nach dem offiziellen Protektoratsbeginn – das gesamte Land unter französischer Kontrolle und in französischem Sinne „befriedet".

 

 

VII. Die Aufstände mehren sich

 

1. Nationalistische Bewegungen

Bereits 1930 wurde eine Partei gegründet, die sich als Ziel den Widerstand gegen die Franzosen und die Befreiung des Landes auf ihre Fahne geschrieben hat, obwohl bis dato noch nicht einmal das ganze Land besetzt war. Diese Partei der Nationalisten wurde von Allal el Fassi in Fes – der Stadt in der die Abhängigkeit ihren Anfang nahm – gegründet und von der städtischen Bevölkerung gebildet. Damit ist hier zum ersten Mal ein entscheidender Unterschied im Widerstand gegen die Franzosen eingetreten. Denn alle früheren Aufstände, waren von der ländlichen Bevölkerung oder den Berbern initiiert, doch diesmal stand die „gebildete, starke" Stadtbevölkerung hinter der Partei der Nationalisten.

Im Sommer 1937 wurden von diesem Zusammenschluss Unruhen in Meknes und Marrakesch ausgelöst, deren Anlass die seit 1930 anhaltende, höchst ungeschickte Politik der Nachfolger von Lyautey, die sogenannte „Berber-Politik" war.

1930 wurde der „Dahir berbere" (Berbererlass) in Kraft gesetzt, der die Berber vom Koranischen Recht, also von der Rechtssprechung des Sultans, ausnahm und sie in Zivilrecht den Stammesältesten, im Strafrecht den Franzosen unterstellte.

Ziel dieser Aktion sollte die Spaltung der Bevölkerung in Araber und berberisch sprechende Bevölkerung werden. Die Berber sollten damit auf die Seite der Europäer gebracht werden.

Allerdings handelten die Franzosen ihren eigenen Interessen auf einer anderen Seite zuwider, denn sie taten durch wirtschaftliche Modernisierung alles, um die Zahl der städtischen Bevölkerung – und damit ihren potentiellen Gegnern – zu erhöhen.

Eine Erneuerung der marokkanischen Nationalbewegung brachte die Landung der Amerikaner im November 1942 mit sich. Denn nachdem Frankreich von den Amerikanern befreit worden war, (es wurde bekanntlich im 2. Weltkrieg von Deutschland eingenommen) erhofften sich die Marokkaner diese Freiheit auch für ihr Land, denn Frankreich hatte ja nun gesehen, wie es ist, unter einer fremden Herrschaft zu leben.

Aber dem war nicht so. Statt dessen wandelte die Protektoratsverwaltung zusehends Marokko in eine Kolonie um.

Um dieser Entwicklung Kontra zu bieten, gründete sich im Dezember 1943 die Istiqlal-Partei, die aus jungen Intellektuellen der Universität von Fes bestand. Sie forderte die Unabhängigkeit des Landes. Doch trotz herber Rückschläge, wie etwa die Verhaftung von 19 führenden Politikern des Landes am 29.01.1944, durch die es erneut zu Unruhen in den Großstädten kam, die sich über mehrere Monate hinzogen und die erst durch die Freilassung von Allal el Fassi beendet werden konnten, hatten die Nationalisten einem überraschenden Umstand viel Gutes zu verdanken :

Der seit 1927 „regierende" Sultan Mohammed ben Yussef (Mohammed V.), der seinem verstorbenen Vater auf den Thron gefolgt war, und von dem Frankreich annahm, er wäre ein willfähiges Werkzeug ihrer Politik, entwickelte sich zu einem Unterstützer und Verbündeten der Nationalisten und Führer der Freiheitsbewegungen.

 

 

2. Der Sultan wird abgesetzt

Am 10.April des Jahres 1947 bekannte sich der Sultan erstmals öffentlich zu seiner Unterstützung der Freiheitsbewegung und hielt in Tanger eine aufsehenerregende Rede über die Ziele der Nationalisten. Frankreich reagierte mit der Einsetzung eines neuen General-residenten (General Juin), der den marokkanischen Politiker keine Gnade schenkte und rigoros gegen nationalistische Bewegungen vorging.

Der Sultan besuchte im Oktober 1950 Paris um eine Lösung im festgefahrenen Streit zwischen Franzosen und Marokkanern zu finden, erzielte aber keine Ergebnisse. Vielmehr wurde ihm von General Juin mit seiner Absetzung gedroht, falls er sich noch weiter für die Freiheitskämpfer einsetze. Daraufhin reiste Mohammed nach Amerika, um dort Unterstützung zu finden. Er wurde zwar vom US-Präsidenten in seinem Ziel der Unabhängigkeit Marokkos bestärkt, konnte aber keine weitere Unterstützung von ihm abverlangen.

Immer mehr widersetzte sich der Sultan den Anweisungen der Europäer, da er wusste, dass der Großteil des Volkes hinter ihm steht. Im November 1951 und März 1952 (in Form eines Memorandums) forderte er politische Reformen in Marokko. Diese wurden allerdings auch von der französischen Regierung abgelehnt. Es kam zu blutigen Zusammenstößen in Casablanca, woraufhin alle politischen Parteien verboten wurden.

Die Franzosen mobilisierten einige Berberstämme gegen den Sultan, welche am 21.05.1953 die Absetzung des Sultans verlangten. Am 19. Juni 1953 veröffentlichten 287 marokkanische Persönlichkeiten ein Gegenmanifest und der Sultan blieb weiterhin im Amt. Allerdings setzte Mohammed V. nun auf totalen, gewaltlosen Widerstand und trat in den sogenannten „Siegelstreik" : Er weigerte sich von nun an, weitere französische Anordnungen zu unter-schreiben und damit zu ratifizieren.

Diesem Treiben sahen die Franzosen nicht länger zu und verwiesen ihn, da er nicht freiwillig zurück trat, am 20. August 1953 außer Landes. Er wurde nach Korsika gebracht und später über Madagaskar nach Tahiti ins Exil.

An seine Stelle wurde ein 78-jähriger Onkel Mohammeds V. gesetzt, der Analphabet Ben Arafa. Vor ihm hatten sich die Franzosen nun wirklich nicht zu fürchten.

 

 

3. Freiheitskrieg der Bevölkerung

Mit der Absetzung des Sultans, der Leitfigur der friedlichen Unabhängigkeitsbewegung, brach der offene Freiheitskrieg bei der Bevölkerung aus. Die Ereignisse überschlugen sich. Das Land boykottierte die Industrie und den Handel, die Terroranschläge gegen französische Bewohner des Landes mehrten sich zusehends und die spanische Regierung protestierte ebenfalls lautstark gegen die Absetzung des Sultans, da er ja auch in Spanisch-Marokko höchster Würdenträger war und in Tetouan nur durch einen Kalifen vertreten war.

1954 griff die Woge des Widerstandes auch auf das Nachbarland Algerien über, und dort begann ebenfalls ein grausamer Befreiungskrieg, der viele Tote auf beiden Seiten kostete.

Nach anhaltenden Boykotten, sowohl von der Stadt- als auch von der Landbevölkerung, Ermordung des Direktors der Zeitung Maroc-Presse und mehreren Demonstrationen, waren die Franzosen im Sommer 1955 nicht mehr Herr der Lage in Marokko. Ben Arafa dankte ab und Frankreich musste unter zunehmenden Druck von allen Seiten, Mohammed V. wieder aus dem Exil zurückrufen. Bei seiner Rückkehr am 16. November 1955 wurde er in Rabat begeistert vom Volk empfangen. Frankreich erklärte, es erkenne nun die Unabhängigkeit Marokkos an und formell erhielt das Land diese am 02. März 1956.

Spanien zog mit dem Anerkennen der Selbständigkeit Marokkos am 07. April 1956 nach. Lediglich die traditionellen Stützpunkte Ceuta und Melilla blieben unter spanischer Herrschaft. Nachdem am 29. Oktober 1956 auch die Zone von Tanger an Marokko zurückgegeben wurde, hatte das Land alle Gebiete vereint. Der Sultan Mohammed V. nahm im August 1957 den Königstitel an und Marokko besteht fortan als freies Königreich.

 

 

VIII. Ist Freiheit Freiheit ?

 

Was im März 1956 nach langwierig errungener Freiheit aussah, war es in den darauf-folgenden Monaten und Jahren wohl noch lange nicht.

Viele neuerlichen Aufstände und militärisches Intervenieren der Franzosen bestimmte die Zeit zwischen 1956 und 1960 (siehe Zeitleiste im Anhang). Aber nicht nur das.

Ein trauriger Fakt eines Protektorats oder einer Kolonialherrschaft ist immer die Ausbeutung des annektierten Landes zu Gunsten des Mutterlandes. Bei Marokko war das auch nicht viel anders. Während die Franzosen auf Kosten der Marokkaner gut lebten und Reich wurden, mussten jene sich mit wenigem begnügen.

Während ein französischer Facharbeiter 4200 FF plus Familienzulage für die Kinder erhielt, musste sich sein marokkanischer Arbeitskollege mit weniger als ¼ davon begnügen.

Für 185 Europäer stand ein Krankenbett zur Verfügung. Gehörte man zu den Einheimischen, war man mit weiteren 2149 Marokkanern Anwärter auf ein Krankenbett. Zwar wurden viele Krankenhäuser gebaut, womit sich die Protektoratsherren rühmten, aber diese standen dann in erster Linie den französischen Siedlern in Marokko zur Verfügung.

Die französischen Kinder gingen alle zur Schule, für die Einheimischen reichte der Platz nicht aus.

Diese Liste könnte man unendlich erweitern, aber vieles ist davon schon von anderen Ländern bekannt, denn überall herrschten während der Kolonialzeit die gleichen Mechanismen.

Ein ausgebeutetes, verarmtes und ungebildetes Land in die Freiheit – also in die Eigen-verantwortung – zu entlassen, birgt viele Risiken und Anforderungen an das Land.

Man muss sich fragen warum gerade die Staaten in Afrika, die fast alle ehemalige Kolonien europäischer Mächte waren, heute noch immer das Armenhaus unserer Erde darstellen.

Während unter den 20 reichsten Nationen der Erde 16 Europa angehören, sind unter den 20 ärmsten Nationen der Welt 18 in Afrika angesiedelt. Natürlich ist das auch durch zahlreiche Bürgerkriege bedingt, die unter den Stämmen der Ureinwohner geführt wurden oder zwischen den Ländern, aber da ist auch die Frage, inwiefern die willkürliche Grenzziehung der Europäer bei der Auflösung ihrer afrikanischen Kolonien eine Rolle spielt. Oftmals wurde die Grenze einfach quer durch ein jahrhundertealtes Stammesgebiet gezogen. Diese Stämme waren nun zwei verschiedenen Regierungen unterworfen, was natürlich politischen Zündstoff beinhaltet.

Marokko hat sich mittlerweile so „gut" erholt, dass man es neben Tunesien, Südafrika und Ägypten zu den fortgeschrittensten Ländern Afrikas zählen kann, und selbst eine der bedeutendsten Börsen Afrikas sitzt in Casablanca, aber der Weg dahin war sehr lang und viele andere Länder sind auf dem Weg gescheitert.

Dass unter diesen Umständen Europa (und andere reiche Länder) Entwicklungshilfe in Milliardenhöhe an Afrika leisten, ist nur gerecht.

Bleibt nur zu hoffen, dass Marokko den positiven Weg, den es 2000 so eindrucksvoll auf der Expo in Hannover präsentiert, weiter erfolgreich verfolgen und ausbauen kann.

 

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